Maxim Brandt - Der heilige Wald

Maxim Brandts märchenhafte Bildwelten zeigen düstere Paradise in phantastischen Farben. Wir sehen Wälder und Fabriken, aber selten Menschen.

Von Guido Walter (Text und Fotos), kunstStory, 23.9.2022

Maxim Brandt, Räume III – Departure, kunstStory.de

Maxim Brandt liebt Märchen. Ihre Geheimnisse, ihre Farben, ihre Ungereimtheiten und Widersprüche. Er malt Tempel und düstere Wälder, Häuser mit schrägen Dächern, Pilze.
Halluzinogene Pilze? „Es kommt drauf an“, sagt Maxim Brandt und lacht. Er steht in der riesigen, nicht mehr genutzten Halle des ehemaligen Flughafens Berlin-Tegel, in der die Gruppenausstellung „Räume III – Departure“ stattfindet. „Die Kuratorin Alina Mann hat mich eingeladen“, sagt Brandt. „Sie mochte meine Bilder.“
Vielleicht das poetische darin, was wiederum mit Metaphysik zu tun hat. Das Auge kann sich darin verlieren und findet stets neue Details, etwa einen Tennisball im Schatten von Kolonnen, die an Giorgio de Chirico erinnern, dem Hauptvertreter der Pittura metafisica, der sogenannten Metaphysischen Malerei, die als Vorläufer des Surrealismus gilt.

„De Chirico meinte, Schatten wären das Wichtigste in der Malerei, weil sie das ganze Bild dreidimensional machen“, sagt Brandt. „Deswegen mache ich immer diese Schatten, Halbschatten und Illusionen.“ Bei der Entstehung stand dagegen ein anderer Surrealist Pate: Brandt lässt sich durch die Collagen des Dadaisten Max Ernst inspirieren und nutzt sie als Vorlage für seine Malerei. Überhaupt ähnelt der Herstellungsprozess seiner Gemälde den Collagen und Montagen der Dadaisten und der Surrealisten. Grundmaterial sind fotografische Einzelbilder, die er am Computer zu neuen Kompositionen montiert und dann in Malerei überträgt.

Die Märchenwelt ukrainischer Kinderbücher

Maxim Brandt, kunstStory.de

Maxim wurde 1986 in Kertsch auf der Halbinsel Krim geboren und ging 1999 mit seinen Eltern nach Deutschland. Er hat an der Kunsthochschule in Kiel studiert und 2015 mit dem Master of Fine Arts abgeschlossen. Seitdem lebt und arbeitet er in Berlin. 2018 gewann er den Eb Dietzsch Kunstpreis, 2016 den Muthesius Kunstpreis und nahm an der 68e édition de Jeune Création in Paris teil. Bis heute haben seine ersten Lebensjahre in der Ostukraine ein deutliches Echo auf sein künstlerisches Schaffen.

 

„Mich hat die ukrainische und die russische Märchenwelt nicht mehr losgelassen, mit der ich aufgewachsen bin“, sagt Brandt. So finden sich viele Motive aus der slawischen Märchenwelt in seinen Bildern wieder, wie Väterchen Frost, die Matroschka-Puppe, die klassische Holzhütte und den Baum des Ostens, die Birke. Besonders die in seltsamen Farben gezeichneten Illustrationen der sowjetischen Kinderbücher haben ihn nachhaltig beeinflusst.

Weitere Einflüsse sind russische Avantgarde-Dichter der Zwanziger- und Dreißigerjahre sowie Zeichentrickfilme der letzten Jahrzehnte der Sowjetunion.

Industrielandschaft im Sonnenuntergangslicht

Maxim Brandt,  Gruppenausstellung, Berlin-Tegel, kunstStory

Eine originelle Farbigkeit ist typisch für seine Bilder, die selten monochrom sind. „Viele sagen, meine Bilder wirken düster, trotz der Farbe." Aber dennoch nimmt die Farbe der Finsternis etwas ihre Kraft. „Ich mag die Atmosphäre der slawischen Märchen“, sagt Brandt. „Da passieren immer irgendwelche absurde Sachen, und das oft im Wald, übrigens auch in deutschen Märchen.“

Für Brandt ist der Wald eine Metapher für unsere derzeitige Gesellschaft. Er ist voller Gefahren und man kann sich in ihm verlaufen. Wie heißt es schon im „Märchen von Väterchen Frost“:  Eines Tages, mitten in einem harten, kalten Winter, beschloss die Stiefmutter, dass das arme Mädchen in den tiefen Wald gebracht und sich selbst überlassen werden sollte.

Idylle und Schrecken sind sich bei Maxim Brandt oft nahe. Er zeigt uns ein Bild, in dem sich das deutlich widerspiegelt: eine Industrielandschaft im Sonnenuntergangslicht, die sich hinter einem idyllischen See erhebt. „Das kenne ich aus der Kindheit, dieser abrupte Wechsel zwischen Natur und industrieller Landschaft.“

Das verlorene Paradies

Maxim Brandt, Künstler, kunstStory

Angesichts des Krieges in der Ukraine erscheint die Darstellung wie ein verlorenes Paradies. Das verleiht den Bildern, obwohl sie noch vor dem Ausbruch des Krieges entstanden sind, eine bedrückende Aktualität. Die Realität ist so absurd geworden ist, so dass man das Phantastische irgendwie als real empfindet. „Ich hatte am Anfang auch solche Gedanken, als ich studierte“, sagt Brandt. „Ich mochte irgendwie alles, was absurd ist, was gegen Regeln und die Logik verstößt.

Heute, wo die Welt so verrückt ist, habe ich das Gefühl, dass wir wieder zu etwas Wahrem, Fassbaren zurückkehren müssen. Nenn es Tradition, Logik oder Moral. Aber es muss irgendwas sein, was den Menschen definiert und Grenzen setzt.“

Kein Mensch zu sehen

Maxim Brandt, kunststory.de

Wo findet er seine Motive? „Es ist meistens wirklich unbewusst“, sagt Brandt. „Ich schaue mir Arbeiten von anderen Künstlern an, schaue Filme, lese irgendwelche Bücher und das alles vermengt sich bei mir im Kopf, und irgendwann hab ich dann eine Idee. Etwa die, etwas mit Smileys zu machen. Und dann setze ich diesen Smiley in die Landschaft.“

Skizzen macht er sich vorher eher selten. „Die Skizze ist bei mir im Kopf“, sagt Brandt. „Ich suche dann Fotomaterial dazu, oder erstelle mit Photoshop eine Collage. Und dann male ich das und ändere alles nochmal.“ Viele seiner Bilder wirken wie eine Camera obscura: kein Vordergrund, der Mittel- und Hintergrund suggeriert Raumtiefe, die Natur wird dramatisch inszeniert, und kein Mensch ist zu sehen. Aber warum auch.