Nicht-Orte

In seinem Buch „Nicht-Orte“ konstatiert der französische Ethnologe Marc Augé eine rasante Zunahme von sinnentleerten Funktionsorten im Zusammenhang von Modernisierung und Globalisierung.

Flughäfen, U-Bahnen, Supermärkte oder Hotelräume sind für Augé „Orte des Ortlosen“. Vergangenheitslose Nicht-Orte, die keine Identität stiften oder sozialen Beziehungen Raum geben. Die Zeiten, in denen das Ferne Exotik garantierte, sind angesichts des Wuchses dieser „Welten des Wiedererkennens“ vorbei. Ein noch unentdecktes Forschungsfeld bietet dabei die Rolle, welche der Film bei der Genese der Nicht-Orte spielt.

Wer regelmäßig amerikanische Fernsehserien und Kinofilme ansieht, wird sich in den Straßenfluchten von Manhattan möglicherweise besser auskennen als jemand, der wirklich dort war.
Augé merkt an, dass „der Raum der Nicht-Orte Einsamkeit und Gleichgültigkeit schafft.“ Einsamkeit, Gleichgültigkeit und Langeweile sind zweifellos Gefühle, die den Filmrezipienten beim Anblick der immer gleichen Straßenecken befällt. Desavouiert die Kumulation des Manhattanbilds nur die klischeehafte Phantasielosigkeit von Teilen des US-Mainstreamkinos, setzten Regisseure wie Wim Wenders oder David Lynch unbehauste „Nicht-Orte“ als Stilmittel ein.

Woody Allen wiederum weiß um den von Marc Augé proklamierten Verlust der poetischen Verführungs- und Identifikationskraft der Städte und lässt den Protagonisten in seinem aktuellen Meisterwerk „Midnight in Paris“ konsequenterweise in die 20er Jahre des letzten Jahrhunderts zurückreisen. gw